domingo, 20 de mayo de 2007

Kapitel 8

hr Magen schien in einen tiefen Abgrund abzusacken, während ihr Herz panisch zu rasen begann. Ihr Verstand weigerte sich, zu glauben was sie spürte. Wieder und wieder betastete sie ihre Wange, so als hoffe sie, die Narbe würde verschwinden, wenn sie ihr Gesicht nur genau genug untersuchte. Es waren nicht die Spuren einer frischen Wunde, die sie da spürte. Es war die Narbe, die bleibt, nachdem die Wunde längst verheilt ist. Welche Magie war hier im Spiel? Wie war das möglich? Sie hatte also nicht geträumt – aber wenn das letzte Nacht kein Albtraum gewesen war – was war es dann? Gehetzt blickte sie um sich, darauf gefasst, irgendwo den Mann in der grauen Kutte zu sehen, rote Augen, die sich in ihre bohrten, direkt in ihr Herz hinein. Doch sie stand alleine auf dem Bergpfad in der Sonne, und das einzige Geräusch neben dem Plätschern des Baches und dem Zwitschern der Vögel war das Pochen ihres eigenen Herzes, das in ihren Ohren wiederhallte. Senja setzte sich auf einen Stein neben dem Bach und versuchte, sich zu beruhigen, einen klaren Gedanken zu fassen. Mehr als je zuvor wünschte sie, weiter in ihr Gedächtnis blicken zu können. Was hatte das alles zu bedeuten? Offenbar hatte sie Feinde, die über die ohnehin schon vielzähligen Gefahren ihres Weges hinausgingen. Leute, die verhindern wollten, dass sie Landomar ihre Botschaft überbrachte. Hatte Senja am Anfang noch daran gezweifelt, ob diese Nachricht echt war, ob es die richtige Entscheidung war, sie zu überbringen – ihr Albtraum, der kein Traum gewesen war, gab ihr nun endgültig Gewissheit: Diese Aufgabe, die sie erfüllen musste, war wirklich wichtig! Die schreckliche Überquerung der Felsbrücke kam ihr in den Sinn – Botin, Gesandte hatte der Dengeluck sie genannt. Auch der Dengeluck wusste von ihrem Auftrag, dessen war sie sich sicher. Warum nur hatte er ihr nicht mehr gesagt? Warum war er der Frage ausgewichen, was er über sie wusste? Nun, dafür war es jetzt zu spät. Der Dengeluck war wohl längst wieder zu Hause bei seiner Hongela und aß Erdbeerkuchen…

Ein Gefühl tiefer Verlassenheit breitete sich in ihr aus und schien einen Schatten über die strahlende Sonne zu legen. Ohne ein anderes Wesen, das ihr Mut zusprach und Ratschläge gab, überkam sie die Mutlosigkeit. Wie sollte sie, eine Frau, die nichts besaß, noch nicht einmal ihre eigene Erinnerung, gegen die vielen dunklen Mächte bestehen? War nicht alles sinnlos und ihr Vorhaben von Anfang an zum Scheitern verurteilt? Doch da regte sich ein anderer Teil in ihr. Eine Senja, die trotzig das Kinn vorstreckte und nicht zuließ, dass die Wellen der Verzweiflung über ihr zusammenschlugen. Schließlich war sie – von wem auch immer – dafür ausgewählt worden, die Nachricht zu überbringen! Sie war doch schon so weit gekommen und hatte sogar die Felsbrücke überquert. - Ohne den Dengeluck hättest du das nie geschafft, wisperte eine verzagte Stimme in ihr, doch die neue, mutige Senja brachte sie zum Schweigen. Die Aufgabe, die man ihr auferlegt hatte, war einfach zu wichtig, um jetzt den Kopf in den Sand zu stecken! Entschlossen stand Senja auf und richtete den Blick nach vorn. In diesem alten Wald ... du wirst ihm nicht entgehen ... diesmal nicht. Ruhig und unschuldig lag das Meer an Bäumen vor ihr. Welche Gefahren lauerten in ihrem dunklen Schatten? Nun, sie würde es herausfinden… Festen Schrittes setzte sie ihren Weg fort.

Die Sonne hatte den Zenit gerade überschritten, als sie am Rande des Waldes ankam. Sie zögerte einen Moment. Bemooste Baumstämme standen dicht an dicht, und nur dumpfes Dämmerlicht durchdrang das dichte Blätterdach. Der Pfad führte mitten hinein in dieses grüne Labyrinth und verschwand nach einigen Metern zwischen der Vegetation. Senja blickte ein letztes Mal auf den blauen, freien Himmel, atmete tief durch und betrat dann den Wald. Sofort spürte sie eine neue Anspannung, die sie nicht gehabt hatte, als sie noch unter freiem Himmel voranschritt. Ihre Ohren lauschten auf bedrohliche Geräusche und ihre Augen versuchten, das fahle Dämmerlicht auf der Suche nach gefährlichen Wesen zu durchdringen. In der Nähe des Pfades hörte sie weiterhin das Plätschern des Baches, der ihren Weg wie ein treuer Gefährte begleitete. Abgesehen von dem Krächzen eines Raben und einer Maus, die laut raschelnd im Gebüsch verschwand und Senja erschrocken zusammenzucken ließen, lag der Wald jedoch ruhig da und behelligte die junge Frau nicht, die immer weiter in sein Inneres vordrang. Ein moosiger, schwerer Geruch lag in der Luft, die sich kühl und feucht auf die Haut legte. Senja verlor jedes Gefühl der Zeit, wie sie so durch die fremdartige Dämmerwelt schritt. Einmal machte sie Halt, um einige Nüsse und Beeren zu essen, die sie erkannt hatte. Ihre anfangs gespannte Aufmerksamkeit wich nach und nach der Leere, die die Gleichförmigkeit des Wanderns mit sich bringt.

Erst als das Dämmerlicht langsam aber unaufhaltsam der Dunkelheit zu weichen begann, machte Senja sich wieder Gedanken. Sie brauchte einen geschützten Ort, wo sie die Nacht verbringen konnte. Wie sehr vermisste sie jetzt die Fündigkeit des Dengeluck mit seinen komfortablen Gästehöhlen! Auf eine Höhle konnte sie hier mitten im Wald wohl kaum hoffen. Aber vielleicht einen Unterschlupf im Gehölz… Suchend um sich blickend verlangsamte Senja ihren Schritt, doch weit und breit konnte sie nichts Geeignetes entdecken. Abseits des Weges wären ihre Chancen wohl größer, doch sie wagte nicht, ihn zu verlassen aus Angst, sich im Gebüsch zu verirren. Immer schneller legte sich die Dunkelheit über den Wald und immer verzweifelter durchforstete Senjas Blick ihre Umgebung, die sie mittlerweile nur noch mühsam erkennen konnte. Als sie gerade versuchte, sich auf eine Nacht im Freien einzustellen, entdeckte sie ihn. Ein Baum, größer und älter wohl als die anderen, ragte er hoch neben dem Pfad auf, sein Wipfel verborgen im Grau-Schwarz der hereinbrechenden Nacht. Selbst drei Mann hätten Mühe, den wuchtigen Stamm zu umfassen, dessen rauhe wulstige Rinde an die unzähligen Falten erinnerte, die das Schicksal in die Gesichter der Alten gegraben hat. Wie ineinander verschlungene Riesenschlangen breitete sich das mächtige Wurzelwerk in alle Richtungen aus – und schien an einer Stelle eine Art Dach zu bilden. Von Erleichterung und andächtigem Staunen für dieses Wunder der Natur erfüllt näherte sich Senja vorsichtig dieser Öffnung und kroch hinein. Hatte sie zunächst eine Art kleinen Unterschlupf erwartet, so hatte sie sich getäuscht: Es war wirklich eine Höhle, die sich ein ganzes Stück fortsetzte und unter den Baumstamm führte, wo sie einen gewölbten Raum bildete, den sie nur noch schwach im schwindenden Licht ausmachen konnte. Senja rollte sich in einem Eck zusammen, doch trotz der Müdigkeit in ihren Gliedern viel es ihr schwer, Schlaf zu finden. Zum einen nagte der Hunger in ihr, doch das war nicht der Hauptgrund. Sie hatte Angst. Angst davor, einzuschlafen, Angst davor, wieder in diesen Traum zu geraten, der keiner war, Angst vor den unbegreiflichen Dingen, die mit ihr geschehen könnten.

„Ahhhh!“ Mit einem Aufschrei fuhr Senja hoch. Sie war wohl doch irgendwann eingeschlafen, doch etwas hatte sie jäh aufgeschreckt. Irgend etwas war auf sie gefallen! Mit aufgerissenen Augen starrte sie auf ihren Bauch. Ein Paar schimmernder schwarzer Knopfaugen starrte nicht minder erschrocken zurück, zwei spitze, in einem braunen Fellbuschel auslaufende Ohren aufmerksam aufgestellt, der buschige, lange Schwanz nervös zuckend. Winzige Krallen klammerten sich an Senjas Kittel fest, der kleine Körper zitterte im Rhythmus des rasend klopfenden Herzen. Beinahe hätte Senja wieder aufgeschrien, diesmal vor Erleichterung, doch sie hielt sich gerade noch zurück. Sie wollte dieses kleine Eichhörnchen nicht noch mehr erschrecken! Stattdessen begann sie, beruhigend auf es einzureden. „Wo kommst denn du her, du kleines Ding, wohnst du hier? Du brauchst nicht so zu zittern, ich tu dir doch nichts!“ Langsam hob sie die Hand, um über das weiche Fell zu streichen, doch das Eichhörnchen zuckt zusammen und huschte fort – allerdings nur einen Meter, um aus diesem sicheren Abstand Senja ausführlich zu begutachten. Bis auf einen weißen Fleck am Bauch hatte das Tier ein rötlich braunes Fell und der neue Ausdruck, den seine Augen nun annahmen, war ganz offensichtlich Neugier. „Du bist ja wirklich putzig, ich würde dir gerne ein paar Nüsse geben, aber ich hab selber nichts zu essen. Außerdem ist es schon hell, ich muss weiter, denn ich muss Landomar meine Nachricht überbringen. Leb also wohl, und hüte dich vor dem bösen Fuchs!“ Damit richtete Senja sich auf und kroch am Eichhörnchen vorbei aus der Höhle. Doch irgendetwas ihrer Worte hatte das Tier verstanden – zumindest war das die einzige Erklärung für sein plötzlich ganz und gar untierisches Verhalten: Es schoss hinter Senja aus der Höhle, rannte aufgewühlt einmal um sie herum, kletterte behende an ihrer Hose hoch um gleich darauf am anderen Bein wieder herunterzuhuschen und gab dabei erregte Fiepslaute von sich. Perplex blieb Senja stehen – was hatte das nun schon wieder zu bedeuten? Jetzt war das Tier vor ihr stehengeblieben. Doch was machte es da mit seinem Schwanz? Der zuckte auf dem Boden hin und her, wischte Äste beiseite und malte etwas in den erdigen Boden. Senja hielt den Atem an und beugte sich nach unten. Was da vor ihren Augen entstand, unsauber zwar, doch unverkennbar, war die Abfolge von Runen. Runen, die sie schon einmal gesehen hatte – bevor der Blitz sie zerstörte.

jueves, 17 de mayo de 2007

Kapitel 7

ie Bäume standen dicht an dicht. Kaum ein Lichtstrahl fiel durch die Wipfel. Ein modriger Geruch durchdrang das Gehölz. Das fahle Licht ließ einen kaum weiter als ein paar Meter blicken. Wo war ich? Wie war ich hierher gekommen? Wo war der Dengeluck? Ich begann zu laufen, das Unterholz wurde dichter, knorrige Zweige zerrissen meine Kleidung, zerkratzten mein Gesicht. Verfolgte mich jemand? Ich blickte mich um, nichts erkennend als unfreundliche, alles verstellende Bäume. Der schwere Geruch von verottendem Holz lag auf allem, schien selbst die Geräusche zu dämpfen. Doch hatte da nicht ein Ast geknackt? Waren das nicht Schritte - vorsichtige, so als wenn jemand vermeiden wollte, gehört zu werden, gehört zu werden jedenfalls bevor er sich an mich herangepirscht hatte? Ich begann wieder zu laufen, ohne überhaupt geradeauszublicken und kollidierte mit einer knorrigen Fichte und fiel ins modrige Laub. Mein Gesicht fühlte sich warm an, ich schmeckte Blut. Die raue zernarbte Rinde der Fichte und seine kurzen spitzen Äste mussten sich direkt in mein Gesicht gebohrt haben. Angst stieg auf in mir. Wieder meinte ich, Schritte zu hören. Wer war da nur hinter mir her? Die Schritte wurden schneller, kamen auf mich zu. Die Angst schnürte mir die Kehle zu, lähmte meine Glieder - ich schaffte es nicht, aufzustehen. Ich kniff die Augen zu, verbarg meine Hände an meinem blutüberströmten Gesicht. Die Schritte kamen näher, wurden langsamer. Jemand blieb direkt vor mir stehen, wortlos. Ich wartete auf einen Schlag, einen Tritt, doch nichts geschah. Langsam nahm ich die Hände von meinem von Schmerz pochendem Gesicht. Vor mir stand ein Mann in einer grauen Kutte, das Gesicht von einer Kapuze halb verdeckt. Viele Narben überzogen sein Gesicht. Seine Augen - obwohl im Schatten der Kapuze verborgen - schienen dunkelrot zu leuchten und mir war sofort klar, dass er mir nicht gut gesonnen war. Er stand schon eine ganze Weile da, blickte mit seinen roten Augen auf mich herab, das Gesicht vollkommen reglos. Plötzlich begann er zu flüstern, mehr zu sich als zu mir, leise und undeutlich. In mir keimte eine Hoffnung, dass er mir vielleicht helfen wollte und versuchte, besser zu verstehen, was er sagte, setzte mich langsam auf - und erstarrte voll von neuerlichem Grauen: "... in diesem alten Wald ... du wirst ihm nicht entgehen ... diesmal nicht ... die alten Geheimnisse sind nicht mehr sicher, er wird sie beschützen ... die Herrschaft von Landomar wird enden." Bei diesen Worten begannen seine Augen blendend hell aufzuleuchten und ein tiefer Schmerz drang durch meinen ganzen Körper, als hätte mich jemand an den Armen gepackt...

"... he, he, es ist es alles gut, sie hat nur von den gemeinen Krähen geträumt, hat sie! Sie muss aufwachen!" Senja öffnet die Augen, den sorgenvollen Blick des Dengelucks erhaschend, der über sie gebeugt stand und sie rüttelte. "Was hat Senja, dass sie an so einem Morgen schlechte Träume bekommt? Hehe, hier, wo es doch so gemütlich ist, hier in der luxeriösen Gästehöhle des Dengeluck, hihi." Der Dengeluck hatte sich wieder von ihr abgewandt, begann die Glut des Feuers vom letzten Abend zusammenzuschieben, um sie durch blasen neu anzufachen. Senja blickte sich um: Sie saß noch immer in der Höhle, die aber bei weitem nicht mehr so dunkel wirkte wie am letzten Abend. Die eben aufgegangene Sonne flutete direkt auf ihre Lagerstatt, fühlte sich angenehm warm an auf ihren Gliedern, die noch leicht schlotterten von ihrem Albtraum. War es wirklich ein Traum, es war doch alles so echt, dieser Wald, der Geruch, der Magier... "Sie muss kommen, sich stärken, vom Schrecken der Nacht erholen, muss sie, jaja." Senja blickte sich um. Die letzten Reste der Schinkenvorräte lagen vor ihnen auf einem Ledertuch. "Es ist nicht mehr weit, dann muss der Dengeluck umkehren, wird dem Berg nicht verlassen, neenee. Der Berg brauch den Dengeluck." - Der Mut, den die warme Morgensonne Senja eben noch gemacht hatte, begann sie bereits wieder zu verlassen, beim Gedanken daran, dass ihr kleiner mutiger Führer bald von ihr gehen und sie wieder vollkommen auf sich gestellt sein würde, ohne überhaupt zu wissen, wohin sie sich wenden musste, was ihre Aufgabe war. Landomar... die Herrschaft von Landomar wird enden ... die Wunde an ihrem Hinterkopf begann wieder schwach zu pulsieren beim Gedanken an den Namen den sie jetzt schon zweimal vernahm, einmal auf einem Stück Pergament in ihrer Tasche und einmal in ihrem Albtraum - wenn es denn ein Traum war.

Nach dem Frühstück kletterten beide aus der Höhle und folgten dem Weg, der sie gestern von der steilen Felsbrücke bei strömendem Regen direkt in die Gästehöhle des Dengeluck geführt hatte. Senja blickte sich um. Der Tag war klar, so als habe das Gewitter die Luft vollkommen rein gewaschen. Der Weg ging von hier an steil abwärts und schlängelte sich den Berg hinab. Senja sah bis auf wenige kleinere schroffe Felsgipfel direkt vor sich auf ein riesiges Waldgebiet, das sich bis zum Horizont zu erstrecken schien. "Sag Dengeluck, weißt du von menschlichen Siedlungen auf dieser Seite der Berge?" fragte sie ihren Führer, der mit forschem Schritt bereits vorausgeeilt war und den sie nur mit Mühe eingeholt hatte. "Menschen? Dengeluck nicht oft trifft auf Menschen, neenee, Senja war seit langem die erste die mehr Angst hatte vor ihm als er vor ihnen. Menschen mögen keine Wesen wie den Dengeluck, müssen alles beherrschen. Der Dengeluck will nicht beherrscht werden, will für sich Leben, in Ruhe bei Hongela, hehe, die so gut sorgt für ihn. Deswegen wird er ihr jetzt auch lebwohl sagen. Senja muss sich vorsehen, viele dunklen Gestalten irren umher, viel gefährlicher als laute Krähen. Einige kommen in die Berge, aber der Dengeluck kennt viele Verstecke, weiß wie er ihnen entkommt. Senja muss lernen zu sich verstecken, wenn sie ihr Ziel erreichen will." - "Mein Ziel? Woher weißt du von meinem Ziel?" fragte Senja da, war sie doch davon ausgegangen, dass der Dengeluck nicht viel von den Menschen weiß, wie er ihr eben noch versichert hatte. "Die Ziele der Menschen liegen am Ende des Weges, Menschen auf den Wegen sind meistens gut, hehe, aber sie soll sich in Acht nehmen, wenn sie vom Wege abkommt, denn statt ihrem Ziel sie findet vielleicht dunklere Dinge." Damit kam der Dengeluck auf sie zu, umarmte sie (das heißt er umarmte ihren rechten Unterschenkel), drehte sich um und begann den Berg hinaufzulaufen. "Hab dank für alles und grüße Hongela von mir!" schaffte es Senja gerade noch zu rufen, bevor er hinter der nächsten Biegung verschwunden war.

Jetzt war sie also wieder auf sich allein gestellt. Wohin sollte sie sich wenden, wo würde die Landomar finden? Die Ziele der Menschen liegen am Ende des Weges. Sie wandte sich von den Bergen ab und blickte hinab auf den großen Wald, der sich vor ihr bis in die Unendlichkeit auszubreiten schien. Ihre Hoffnung war nicht sonderlich groß nach den Warnungen des Dengelucks hier heil hindurchzukommen. Aber sie musste es versuchen, musste versuchen zu ergründen, welche Aufgabe sie hatte und wo sie hingehörte. Sie begann zu laufen. Die Vegetation um sie herum wurde wieder üppiger, der Weg wurde weniger steil und Vögel zwitscherten in der warmen Morgensonne. Das alles machte Senja Mut und sie sog die Geräusche und die klare frische Luft tief in ihre Lungen. Als sie so einige Zeit gelaufen war, mischte sich ein leises Plätschern in die Geräusche aus ihrer Umgebung. Ein Gebirgsbach schlängelte sich neben dem Weg hinab in die bewaldete Ebene. Senja verspürte Durst und kletterte eilig hinab an das klare Bachbett und begann eilig ein paar tiefe Schlucke zu nehmen. Nachdem sie ihren Durst gestillt hatte, begann sie, ihr Gesicht zu waschen, dass es nach der Nacht in der staubigen Höhle mal wieder nötig hatte. Senja fuhr mit der nassen Hand über ihre Wange... und erstarrte. Da wo sich in ihrem Albtraum die spitzen Zweige der Kiefer eingekerbt hatten, spürte sie eine breite Narbe.

lunes, 7 de mayo de 2007

Kapitel 6

chon als sie die erste Steigung erklomm, spürte sie, dass hier auf dieser hohen Felsbrücke der Bergwind kälter und rauer pfiff als auf dem sicheren Pfad. Zerzauste Haare wehten ihr vor die Augen und erschwerten ihre Sicht. Unsicher tasteten ihre Hände auf den Felsen, um Halt zu finden, und sie begannen im Wind zu frieren. Vor sich sah sie den Dengeluck eilig und behend klettern. Als er ihr schon weit voraus war, sah er zurück und bemerkte, dass sie sehr langsam nachkam. Er kletterte ein Stück zurück und rief ihr zu: “Ho, keine Angst haben, Senja, der Weg ist gut, er lässt dich nicht fallen, he, nein, komm nur, Vertrauen sollst du haben zu den Steinen, sie sind dir besser gesonnen als die schwarzen Wolken über dir, sind sie.”. Doch Senja konnte nicht so schnell klettern wie das grüne Bergwesen und sie wollte es auch nicht versuchen, denn der Abgrund unter ihr gähnte wie ein großer Schlund und sie spürte die gefährliche Anziehung der Tiefe. Als sie versehentlich einen Stein lostrat, der nach unten fiel, sah sie ihm unwillkürlich nach und hielt die Luft an als sie beobachtete, wie lange er fiel, bis er sich schließlich, nach einer Ewigkeit, im Dunkel der Schlucht verlor.

Die Brücke wurde wieder ebener und Senja musste nicht mehr klettern, sondern konnte auf zwei Beinen gehen. Unsicher setzte sie einen Fuß vor den anderen, während Windböen an ihr rüttelten und eine Handbreit neben ihr schon der Abgrund klaffte. Unter sich sah sie, weit entfernt wie ein vager Traum, den großen Fluss, wie er weiß und wild duch das dunkle Tal stürzte. Er füllte den ganzen Grund aus, nur wenige grüne Flecken waren an seinen Ufern zu sehen. Senja blickte nach vorne und die andere Seite der Brücke schien noch immer unerreichbar weit entfernt zu sein. Doch zu ihrer Rechten, hoch über ihr, bäumten sich die tiefschwarzen Wolken auf, unbeugsam und bedrohlich. Plötzlich ließ ein Gedanken sie zusammen fahren. Sie blieb stehen. “Dengeluck, hör!” rief sie gegen den Wind an. “Und wenn die Krähen kommen?”. “Dann laufen wir davon! Hi! Ho! Komm weiter, furchtsame Heldin!” schrie er zurück. Doch seine Stimme klang nicht fröhlich. Er hatte wohl schon denselben Gedanken gehabt. Noch nervöser als vorher fühlte sie sich, als sie weiterschritt. Wieder kam eine Steigung, die sie heraufklettern mussten. Und wieder war der Dengeluck schneller als sie, stieg gewandt die grauen Felsen empor. Als sich auch Senja bis nach oben gekämpft hatte, blieb sie dort schwer atmend auf einem Stein sitzen. Sie war auf dem höchsten Punkt der Brücke angekommen, gleich schon würde es wieder nach unten gehen. Keuchend sah sie zu den Wolken auf. Sie verdunkelten den Himmel und verursachten ein seltsames Spiel aus intensivem Licht und schattendem Schwarz, das über die Felsen wanderte. Auch die Brücke zu ihren Füßen war in dieses eigenartige Licht getaucht. In ihrer Betrachtung verloren, entdeckte sie plötzlich etwas Eigenartiges auf einem Stein, das ihr trotz seiner Fremdartigkeit vertraut vorkam. Es waren Zeichungen, Striche, Formationen, die irgend jemand in den schwarzen Fels gegraben hatte. Eine dunkle Erinnerung zerrte an ihr, erreichte beinah die Oberfläche ihres Gedächtnisses, riss sich fast frei. Doch so sehr sich die junge Frau auch bemühte, sie erreichte die Erinnerung nicht, und diese blieb heiß ersehnt, doch verloren, in den Tiefen des Denkens verhangen. Senja konnte sich nicht losreißen von dem Anblick der hellen Striche im Gestein, die so intensiv zu ihr zu sprechen schienen ohne dass sie ihre Sprache verstehen konnte. Erst ein Arm, der an ihrem zerrte und eine wegen dem dröhnenden Wind schreiende Stimme rissen sie aus ihren Gedanken: “He! Ho! will sie auf die Krähen warten, hier? Runen, von grauen Händen im Schatten geschrieben, gemeißelt, sollen die Botin nicht aufhalten. Weiter, Gesandte, weiter, eh die Wolken brechen!” Der Dengeluck stand neben ihr, der Wind peitschte ihm die dunkelgrünen Haare ins Gesicht und seine schwarzen Augen blickten sie voller Besorgnis an. Senja starrte zurück. “Kannst du sie lesen, die Striche, kannst du sie lesen, Dengeluck?”, schrie sie, ohne auf die Aufforderung zu achten. “Nein, kann er nicht, nein, der Dengeluck! Und wenn die Menschin es einmal konnte, dann hat sie es vergessen, verloren, verweht. Weiter, weiter, ho, komm weiter!” Und er drehte sich um und begann, den Weg herunter zu steigen. Senja starrte ihm nach, unfähig, sich über den Gedanken Klarheit zu verschaffen, der in ihr aufkam. “Was weißt du?”, rief sie plötzlich, in den beginnenden Regen hinein, der auf sie fiel. “Was weißt du über mich, wer bist du, warum hilfst du mir, was soll das alles?” Doch er hörte sie nicht oder wollte sie nicht hören. Er kletterte weiter, während der Regen auf die Runen fiel und sie vor ihren Augen verschwammen. Ihr wurde klar, dass sie weitergehen musste, dass das Gewitter nun über ihnen war. Noch einmal heftete sich ihr Blick auf die Zeichnungen im Gestein und sie versuchte, das Bild in ihr Gedächtnis zu graben. Dann stand sie auf und setzte widerwillig ihren Weg fort. Die Steine wurden rutschig im Regen und es war schwieriger als zuvor, einen sicheren Halt zu finden. Mehrmals glitten ihre Füße aus und mit klopfendem Herzen musste sie sie neu auf den Fels setzen. Der Himmel wurde immer dunkler, der Wind riss immer stärker an ihr und versuchte, sie in die Tiefe zu schleudern. Der Dengeluck blieb nun näher bei ihr. Er half ihr, einen sicheren Weg zu finden und rief ihr: “Hoi, hoppla, ja!”, “Joi, gut so!” und andere Ermutigungen zu. Senja wünschte, sie hätte nicht so lange bei den Runen gesessen. Sie wünschte, sie hätte diese Felsbrücke nie betreten oder wäre überhaupt nicht der Nachricht auf dem Pergament gefolgt. Doch schon nach kurzer Zeit hörte sie auf, überhaupt etwas zu denken und konzentrierte sich allein darauf, nicht abzustürzen. Der Himmel begann, Blitze auf die Berge zu schleudern. Der Donner rollte über die Gipfel, der kalte Regen peitschte auf die verzweifelten Wanderer ein. Senja konnte kaum noch die Stimme des Dengelucks hören, wenn er ihr etwas zurief und ihre klammen Finger fanden nur noch schwer Halt auf den harten Felsen. Plötzlich zuckten die beiden Kletternden zusammen, denn ein ohrenbetäubender Donnerschlag brach auf sie nieder und sie sahen, wie ein gleißender Blitz in den höchsten Punkt der Brücke einschlug - dorthin, wo die Runen standen. Senja meinte zu sehen, wie der Fels für einen Moment rot aufglühte, doch es war so kurz, dass sie sich nicht sicher war, das tatsächlich gesehen zu haben. Doch trotz des Blitzeinschlags blieb die Felsbrücke fest und hielt die Wanderer. Senja blickte durch den Regenschleier vor ihren Augen und war froh, nicht mehr dort zu stehen, wo sie gerade diesen furchtbaren Blitz gesehen hatte. Sie stieg weiter. Bald hatte sie jedes Gefühl für Zeit verloren. Ihre Welt beschränkte sich auf den schmalen Fels und den jähen Abgrund, den peitschenden Regen und den reißenden Wind, die Dunkelheit und das plötzliche Aufleuchten der Blitze und ihren Weggefährten, den Dengeluck.

Kaum konnte sie es glauben, als ihr Fuß auf einmal schlammigen Boden betrat. Sie hatten es offenbar geschafft, sie hatten die Brücke überquert. Doch der Dengeluck trieb weiter zur Eile an, er begann, den rutschigen erdigen Pfad emporzusteigen, der vor ihnen lag. Senja folgte ihm. Auch wenn nun keine Schlucht mehr unter ihnen gähnte, waren doch immer noch das Donnergrollen, das Himmelswasser und die schlagenden Blitze um sie. Doch es dauerte nicht lange, da verließ der Dengeluck den Pfad und kletterte über Felsbrocken bis zu einer Höhle. Sie war so klein, dass die beiden nur gerade eben so Platz darin fanden, doch Senja schien sie ein Königspalast zu sein. Kein Regen trommelte mehr auf sie nieder, sie waren vom Wind geschützt und sahen nun erschöpft und gebannt dem Schauspiel zu, das sich ihren Augen bot. Sie konnten auf die schmale Felsbrücke sehen, die sich bei jedem Blitzschlag bizarr von dem dunklen Abgrund abhob. Je nachdem, woher das Licht eines Blitzes kam, schien die Brücke sich zu bewegen, schien fast zu tanzen zur Musik des Donners. Auch wenn Senja wusste, dass ein Blitzeinschlag über ihnen den Eingang der Höhle verschütten konnte, fühlte sie sich nun sicher und geborgen und begann langsam zu begreifen, dass sie gerade diese furchtbare Brücke überquert hatte, die sie da vor sich sah.

Auf einmal meinte der Dengeluck: “Oy, gib mir mal deinen Kittel da, den langen, nutzlosen, hässlichen Menschenkittel da, jo, he!” Verwundert sah ihn Senja an, gab ihm aber ihren Umhang, der, da er nass war, sowieso nicht besonders gut wärmte. Der Dengeluck hiefte ihn hoch, grinste sie kurz an und verschwand in der Dunkelheit des Berges. Senja fragte sich, was er wohl vorhatte, doch schon nach kurzer Zeit war er wieder da und hatte offenbar etwas in den Stoff eingewickelt. In der Höhle schüttete er es aus und Senja sah, dass es Holz war, trockenes Holz. “Hey, Dengeluck, du bist ein Wunder!”, freute sie sich. “Oy, ey, die Senja weiß gar noch nicht, was für ein Wunder, hi, hihii! Holz und Hölzchen, Stein und Blitzchen, und dem Dengeluck sein Köpfchen, uiuioi, ... “ summte er vor sich hin, während er mit Senjas Hilfe das Holz für ein Lagerfeuer aufschichtete. “Und wie willst du das jetzt anzünden?” fragte Senja. “Oooh, nee, keine Ahnung hat sie, die Senja, von dem Dengeluck, von dem Genie, ui, hihii, dem Genie, ho, ha, hee, ...” sang er fröhlich weiter, nahm einen Ast und ging wieder in das Gewitter hinaus. Es dauerte nicht lange, bis er wieder da war und der Ast in seiner Hand trotz dem strömenden Regen mit einer hellen Flamme brannte. Er steckte den Ast unter die anderen, die schon bald Feuer fingen und mit lustigen Flammen die kleine Höhle wärmten. Senja fragte nicht, wie er den Ast zum Brennen gebracht hatte. Vielleicht hatte der Blitz in einen Busch eingeschlagen, der nun brannte. Auch wenn sie sich das aufgrund des Regens nur schwer vorstellen konnte. Es war ihr aber auch egal, sie war zufrieden damit, ein Feuer zu haben und war dem kleinen Wesen, das da vor sich hin summte, dankbar dafür. “So, na, und jetzt, he, wo kriegen wir jetzt was zu Essen her, he, Menschenkind, ha? Oder sollen wir vielleicht Steine essen, oder wie hat sie sich das gedacht, na, eh?” fragte der Dengeluck plötzlich. Senja wusste inzwischen dass er sie nur ärgern wollte und gab ausgelassen zurück: “Du bist hier der Begführer, he, ha! Ich möchte jetzt gerne einen Erdbeerkuchen, so wie den heute morgen, aber frisch bitte. Und vergiss bloß nicht den Vanillepudding unter den Erdbeeren, ohne den fange ich erst gar nicht an zu essen, ja, he?” Der Dengeluck lachte. “Wie, was, nur weil sie auf einer kleinen Brücke gehüpft ist, glaubt sie jetzt, sie könne Befehle geben oder wie, oder was, eh? Joo, hehe, nee nee Erdbeerkuchen gibts nicht, den kann sie sich aus dem Kopf schlagen, kann sie. Aber wenn sie ganz lieb ist, kriegt sie vielleicht was von Dengelucks Notreserven ab.” sprach er und präsentierte ihr breit grinsend ein Stück geräucherten Schinken, das er unter seinem Hemd hervorgezaubert hatte. Senja, die nun plötzlich ein großes Loch in ihrem Magen spürte, rief: “Oh, mögen alle Erdbeerkuchen des Landes deinen Essenstisch bevölkern! Na, zumindest wenn ich auch was davon abkriege. Her mit dem Schinken!” Und zusammen begannen sie, ihre Mägen mit köstlichem Schinken zu füllen.

sábado, 5 de mayo de 2007

Kapitel 5

ui ho, aufstehen muss sie! Hihi, haha, ein Langschläfer ist diese Menschin, und so was will die Berge überqueren, und das alleine, und dabei ist sie doch so ängstlich, hihi. Buuuh, wenn sie nich aufsteht, kommen die Krähen, jaja, krächz krächz!“ Verwirrt und desorientiert fuhr die junge Frau hoch und starrte verständnislos auf die moosgrünen kleinen Hände, die mit erstaunlicher Kraft an ihrem Arm rüttelten. „Ahhh, ja, sie is ja doch aufgewacht, weil der Dengeluck von Krähen redet. Aber sie brauch den Dengeluck nich so komisch anschauen, ne ne. Vielleicht hat sie wieder Angst, das Senjalein, vor dem Dengeluck, hihihi. HA! BUUUH!“ Langsam wußte Senja wieder, wo sie sich befand. Vor ihrer Lagerstätte stand der Dengeluck und grinste von einer grünen Backe zur anderen, während seine schwarzen Augen blitzten. Irgendwoher hatte er sich wieder einen Kranz besorgt, diesmal aus miteinander verflochtenen Ästen, den er beim Ausruf „BUUUH“ in die Luft warf und sich dann wieder aufsetzte. Senja beschloss, seinen Spott zu ignorieren und begnügte sich mit einem „Ich wünsche dir einen guten Morgen, Dengeluck!“. „Hoho, guten Morgen sagt sie, dabei ist der Tag doch schon so gut wie rum, so lange hat sie geschlafen! Schlafen und Träumen von Bäumen, lalala…“, begann er zu singen und dabei im Kreis zu hüpfen.
Senja sprang auf – was, sie hatte den halben Tag verschlafen?! Dabei hatte sie doch eine wichtige Aufgabe, und wusste nicht, wie weit der Weg noch sein würde! Sie rannte vorbei an dem immer noch tanzenden und summenden Dengeluck, bis zum Eingang der Höhle. Die ersten zarten Sonnenstrahlen berührten den gar nicht mehr weit scheinenden Gipfel und ließen den Schnee rötlich aufschimmern. Erleichterung mischte sich mit dem Ärger, schon wieder auf den Dengeluck hereingefallen zu sein. Hinter sich hörte sie ihn voller Freude loskichern. „Hihihi, da hat er das Menschlein aber wieder erschreckt, der Dengeluck, fieser Dengeluck, hihi. Die Heldin hat kein Gespür für die Zeit, ne ne, hat sie nich, sie is halt ein Menschenkind, kein Bergbewohner, hoho… Muss sie lernen vom Dengeluck, und auch dass sie nich wieder Angst hat, ne ne, jaaa. Aber los müssen wir, jawohl, bald sogar, aber vorher muss Senja frühstücken, Hongela hat auch schon Kaffee gekocht. Aber dann geht der Dengeluck mit Senja und zeigt ihr den Weg, tut er, bevor die dunklen Wolken kommen und der Himmel anfängt zu trommeln!“ Senja musterte den klaren, blassblauen Himmel, an dem weit und breit keine Wolke zu sehen war und meinte ungläubig: „Was, ein Gewitter? Aber es ist doch ganz schönes Wetter, wo soll denn das herkommen!“ „Da siehst du’s, Hongela, hab ichs dir nich gesagt, hmm? Ja ja, die Kleine sieht nur das Jetzt, aber was am Abend kommt, das weiß sie nich, da is sie ganz ahnungslos und hilflos ohne den Dengeluck.“ – „Ich bin nicht dumm! Und hilflos bin ich erst recht nicht, ich…“ So langsam wurde Senja doch wütend auf den kleinen Wicht, dem offenbar nichts mehr Freude bereitete, als sich über sie lustig zu machen. „Klar is sie nich dumm, hab ich auch nich gesagt, nene. Aber die Berge kennt sie nich, die sagen nich jedem, was sie wollen. Aber der Dengeluck zeigt es dem Senjalein und passt auf, jaja, das macht er, sonst ist Hongela böse mit ihm.“ Und mit diesen Worten zog er Senja wieder in die Höhle an den Tisch, auf den Hongela – die Senja in ihrer Aufregung noch gar nicht wahrgenommen hatte - gerade drei dampfende Tassen, Milch, Brot und die Reste des Erdbeerkuchens stellte.
Viel Zeit nahmen sie sich nicht für das Frühstück, der Dengeluck drängte zum Aufbruch und auch Hongela schaute immer wieder sorgenvoll zum Eingang, als könne sie schon das Grollen des Donners in der Ferne hören. Zum Abschied schaute sie mit ihren großen schwarzen Augen ernst in Senjas und murmelte „Viel Glück, meine Kleine, auf deinem gefährlichen Weg!“ Der Dengeluck konnte so viel Schwermut offenbar nicht ertragen. Er tanzte zu seiner Frau, setzte ihr seinen Kranz auf den Kopf und rief: „Hihi, aber das gefährlichste Wesen auf diesem Weg ist ja der Dengeluck, hihi, der macht doch sogar mehr Angst als Krähentiere, hiii, hihi. Wenn der Dengeluck bei Senja ist, laufen alle anderen weg vor Furcht, BUUUH, BATZ, BENG! Haha, ja, hiii! Und der Dengeluck ist lieb zu Senja und passt auf und zeigt ihr, dass sie keine Angst nich haben muss vor dem Berg!“ Und schon war er über die Felskante verschwunden. Hastig bedankte sich Senja noch einmal bei Hongela und beeilte sich dann, ihm zu folgen.

Zügig schritten sie voran auf dem immer schmaler werdenden Felspfad, der Dengeluck immer ein paar Meter voraus, sich ab und zu umdrehend, ob Senja noch hinter ihm war. Ab und zu musste sie die Hände zum Klettern zu Hilfe nehmen, dann ging es wieder ein Stückchen leichter geradeaus. Immer höher kletterte auch die Sonne am wolkenlosen Himmel und ließ ihr den Schweiß in die Augen laufen. Sogar vereinzeltes Vogelgezwitscher war zu hören. So langsam zweifelte sie daran, dass an der Ankündigung des Dengeluck, es werde ein Gewitter geben, etwas Wahres war. Sie begann über diese seltsamen Wesen nachzugrübeln. Was machten sie hier in den Bergen? Gab es noch mehr von ihnen? Weshalb war der Dengeluck gestern so weit von seinem Zuhause entfernt in dieser Höhle gesessen, in die sie vor den Krähen geflohen war? Noch etwas anderes brachte Senja ins Grübeln. Am Tag zuvor war sie zu müde und hungrig gewesen, um sich darüber zu wundern. Aber jetzt kam es ihr mit jedem Schritt, den sie machte, seltsamer vor. Erdbeerkuchen! Nicht nur, dass diese Bergwesen einen Erdbeerkuchen wie bei ihr daheim (wo immer das auch war) machten – das war ja durchaus erklärbar. Aber Erdbeerkuchen in den Bergen? Wo es rundum nichts gab als geduckte Sträucher und hartes Gras? Und der Kaffee zum Frühstück! Wie um alles in der Welt kam Kaffee in die abgelegen, versteckte Höhle der Dengelucks, weit entfernt von allen Handelsrouten? Außerdem war da noch die Milch und die Eier für den Kuchen – vielleicht hielten sich diese Wesen Tiere, aber in der Nähe der Höhle hatte sie nichts gesehen und gehört. Das alles war schon sehr seltsam. Vielleicht verfügte der Dengeluck über geheime Kräfte…

Senja schauderte unwillkürlich und ihre Hand fuhr wie von selbst in ihre Tasche und schloss sich um das Tuch mit dem hölzernen Amulett. Ihr von der Anstrengung ohnehin schon schnell schlagendes Herz begann schmerzhaft in der Brust zu klopfen – aber diesmal nicht wegen dem Gedanken an Zauberkräfte. Diese Geste, die sie da eben gemacht hatte – das Amulett, das sie umklammerte – das war unbewußt geschehen. Gelenkt von dem hinter Schleiern verborgenen Teil ihres Gedächtnisses. Was hatte das zu bedeuten? Wovor sollte das Amulett sie schützen? Sie holte es hervor, um es genauer zu betrachten. Das Holz schimmerte in einem hellen rotbraun. Die filigrane Figur war nicht größer als ihr Daumen und zeigte die ineinander verschlungenen Köper eines Eichhörnchens und eines Drachens, die mit großer Sorgfalt sehr detailliert geschnitzt worden waren. Eichhörnchen und Drache… wofür stand das nur? Eichhörnchen und… „Hoia, heppla, was macht sie denn da, mitten auf dem Weg, ohne den Dengeluck? So geht sie noch verloren, das darf sie aber nicht, nee! Held will sie sein, aber dann steht sie hier, Dengeluck muss aufpassen! Schnell, weiter müssen wir, genau!“ Der Dengeluck klang ungewöhnlich ernst und etwas ungehalten. Senja war zum Betrachten des Amuletts stehengeblieben, ohne sich dessen bewusst zu sein. Nun schlug sie es hastig in das Tuch ein, steckte es wieder in die Tasche und eilte den steilen Pfad zm mit verschränkten Armen wartenden Dengeluck. „Tut mir leid ich… ich habe kurz verschnaufen müssen…“, murmelte sie, als sie ihn erreicht hatte. „Soso, ja ja, verschnaufen muss sie also, die Senja, und der Dengeluck rennt weg von ihr, hoho! Muss sie ihm sagen, wenn sie keine Kraft hat, die Menschin, die Heldin, die. Dann machen wir Pause, aber nicht hier, da können sie ja alle Krähentierchen sehen, und dann muss sie wieder rennen! Hihi, der Dengeluck hat kurze Beine, aber klettern kann er schneller als die Kleine, hehe!“ Vor sich hin murmelnd drehte er sich um und stieg weiter den Berg hinauf. Senja folgte ihm grübelnd. Ihr war, als rege sich mit dem Amulett ein weiterer Teil ihrer verschütteten Erinnerungen, doch so flüchtig und wenig greifbar wie der Morgendunst. Ihre Verwunderung über das Wesen der Dengelucks hatte sie vergessen. Stattdessen flogen ihre Gedanken den Füßen voraus, über das Gebirge, dorthin, wo Landomar sie erwartete. Hatte er vielleicht etwas mit dem Amulett zu tun? Oder hatte sie es von demjenigen bekommen, von dem auch die seltsame Nachricht stammte? So sehr sie sich auch anstrengte – anstatt des Gedächtnisses kamen nur Kopfschmerzen. Würde sie sich jemals wieder richtig erinnern können?

So tief war sie in ihre Gedanken versunken, dass sie beinahe in den Dengeluck gelaufen wäre, der unvermittelt stehengeblieben war. Sie waren inzwischen so hoch gekommen, dass vereinzelte Schneeflecken unter den Steinen hervorlukten. Die Büsche waren nunmehr zu einem knöchelhohen Gestrüpp geworden, durchbrochen von braunen Grasflächen. Das weiße Glitzern des schneebedeckten Gipfels war inzwischen in beinahe greifbare Nähe gerückt. Doch zwischen ihnen und dem Berg erstreckte sich eine steile Schlucht. Ein entferntes Rauschen verriet den Fluß, der in ihrer Tiefe brodelte. Vor ihnen teilte sich der Pfad, dem sie bisher gefolgt waren. Der eine Weg führte direkt auf den Abhang zu – und da sah sie es: Eine schmale, eine sehr schmale Brücke führte auf die andere Seite der Schlucht. Es schien, als habe der Schöpfer dieser Berge beim Graben der Schlucht auf einmal keine Lust mehr gehabt und in der Mitte ein Stückchen Fels stehenlassen. Diese natürliche Felsbrücke war nicht eben, sondern schien steile Steigungen zu besitzen. Der andere Weg führte in sicherem Abstand am Rand der Schlucht entlang durch das Gras, offenbar um die Schlucht herum.
Die Stimme des alten Mannes hallte in Senjas Kopf wieder: “Nimm nicht den Weg über die Felsbrücke, der lange Weg über das Gras ist sicherer.” Sie öffnete den Mund, um etwas Diesbezügliches zu sagen, doch der Dengeluck hatte schon einen Weg eingeschlagen – geradewegs auf die Schlucht mit der Brücke zu.
„He, Dengeluck, warte!“, rief sie, und hörte, wie sich eine Spur von Panik in ihre Stimme schlich. „Oi, oha, was hat es denn, das Menschenkind, das Senjalein? Gefällt ihr der Weg nicht, och, der Furchtlosen? Aber der Dengeluck ist doch bei ihr, der brave, der mutige, der tapfere!“ Der Dengeluck war stehengeblieben, aber wackelte ungeduldig hin und her. „Wir dürfen nicht die Brücke nehmen, die ist zu gefährlich! Wir müssen den längeren Weg außenherum nehmen!“ Ihre Stimme klang schrill in ihren Ohren, und gar nicht so überzeugend, wie sie beabsichtigt hatte. „Ja, da hat sie recht, das mit dem außenrum, das ist schon gut, das ist schon richtig, kluges Senjakind! Hihihi, aber der Dengeluck, der ist halt ein Bergmensch, johe, der kennt sich hier aus, jawoll. Der is hier schon oft gewesen und das is nich so schlimm, ne ne, ja, is es nich. Wir ham da gar nix zu befürchten, nene… Viel gefährlicher, außenrum, is es nämlich, denn der Himmel grollt bald, dann müssen wir drüben sein! Ja, da muss die Menschin dem Dengeluck glauben, hihi, vertrauen, kann man sagen, ho hoppla, hiii.“
Senja wollte einwerfen, dass das Wetter doch traumhaft sei und bestimmt kein Gewitter hereinbrechen würde – doch der Satz blieb ihr im Halse stecken. Wie aus dem Nichts türmten sich am Horizont bedrohlich schwarze Wolken auf. Noch schien über ihnen die Sonne im tiefblauen Himmel, doch die Gewitterwand schien schnell näherzuziehen. Wie eine Faust packte die Angst ihr Herz. Was, wenn sie hier in die Schlucht stürzen und Landomar ihre Nachricht niemals bekommen würde? Landomar! Sie musste zu ihm, und hier voller Angst zu stehen, brachte sie nicht weiter! Diese beiden Wege waren wie die Wahl zwischen Skylla und Charibdis – aber bisher hatte sie der Dengeluck gut geführt. Sie atmete einmal tief durch, dann folgte sie der kletternden kleinen Gestalt vor ihr.

martes, 1 de mayo de 2007

Kapitel 4

s roch nach... Erdbeerkuchen... warmem Erdbeerkuchen... vielleicht mit etwas Pudding zwischen Teig und Erdbeeren! Senja lief das Wasser im Mund zusammen. Sicher spielten ihre Sinne ihr nur einen Streich. Sie hatte seit dem Frühstück bei dem alten Schäfer nicht viel gegessen und spürte jetzt gegen Abend ein großes Loch in ihrem Magen, so dass man schier jeden erdenklichen Essensgeruch in die sie umgebende Abendluft hineininterpretieren konnte. Und doch: Es roch verdächtig nach Erdbeerkuchen!
Sie war dem Dengeluck mehrere Stunden über Stock und Stein gefolgt. Er hatte sie immer weiter den Berg hinaufgeführt, entlang an steilen spitzen Felsen und vorbei an einer zunehmend karger werdenden Vegetation. Ihr kleiner Führer hatte sich nach ihrer Konversation in der Höhle in Schweigen gehüllt, sie meinte nur gelegentlich ein leises "ooch" oder "fluuu" aus dessen Richtung zu hören, als er eine Felsspalte oder eine größere Baumwurzel überwinden musste. Senja war nach seinen anfänglichen Verspottungen sowieso die Lust an einer Konversation mit ihm vergangen. Zudem erforderte der Weg ihre volle Aufmerksamkeit, wenn sie nicht plötzlich in die Tiefe stürzen wollte. Der Dengellock schien hingegen voll in seinem Element zu sein: Die meisten Hindernisse bewältigte er mit so großer Leichtigkeit, so dass er oft auf Senja warten musste. Als sie eine Zeit lang darüber nachdachte, machte es auch Sinn; waren doch Bergbewohner oft klein, schon fast gnomartig, dafür auch sehr agil? Vielleicht war der Dengeluck ein Ureinwohner dieses Berges?
Ein lautes Rumpeln ließ sie aus ihren Gedanken hochfahren. Instinktiv blickte sie an den Himmel, ein Gewitter oder eine neue Krähenschaar erwartend. "So ist das, wenn Senja schon nicht mit dem Dengelluck spricht, tut es zumindest ihr Bauch." - "Das war nicht mein Bauch!" log Senja und wie zur Bestätigung des Dengelluck antworte ihr Bauch mit einem zweiten bedrohlichen Donnern. Es hatte bereits zu dämmern begonnen und der Dengeluck begann zu murmeln: "Nicht mehr weit... Hongela wartet schon mit Essen... guuutes Essen macht sie... nicht mehr weit." Plötzlich hielt er an. Der schmale Pfad, auf dem sie gelaufen waren, schien an dieser Stelle zu Ende zu sein. Senja blickte sich um. Sie waren an einer steilen Bergwand angelangt. Es war wohl nicht mehr weit bis zum Gipfel des Berges, sie war also mit Hilfe des Dengeluck ihrem Ziel, den Berg zu überqueren, ein gutes Stück näher gekommen. Aber was wollte er gerade hier? So gut sie auch schaute, nichts sah nach einem Eingang aus, schon gar nicht in eine Höhle, in der sie stehen konnte, wie es ihr der Dengeluck angekündigt hatte. Hielt er sie vielleicht doch nur zum Narren? Der Dengeluck... wo war er überhaupt? Sie blickte sich um, ohne ihn zu entdecken. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. "Nicht mehr weit, nur noch ein paar Meter", hörte sie es plötzlich von oben. Sie blickte die steile Bergwand hinauf, an welcher der Dengeluck mit geschickten Klimmzügen emporkletterte. Und tatsächlich verschwand er nach wenigen Metern hinter einem Vorsprung. Dann tauchte sein Kopf wieder auf: "Klettern muss Senja, aber nicht weit, komm schnell, es gibt Erdbeerkuchen." Bei diesen Worten vergaß Senja schnell die Müdigkeit in ihren Gliedern. In wenigen Minuten hatte sie die Wand erklommen und stand auf einem schmalen Felsvorsprung.

Ihrer Nase folgend steckte sie ihren Kopf in einen Höhleneingang und blickte in eine gemütlich eingerichtete Wohnhöhle, ganz anders als die, in der sie den Dengeluck getroffen hatte. Trotz des schmalen Eingangs war es innen geräumig. In der gut zwei Meter hohen Höhle stand ein kleiner massiver Holztisch, mehrere Hocker, ein kleines Bett. In einer Ecke entdeckte sie eine kleine Küchennische, an dessen Seite ein Kaminfeuer prasselte. "Was sagst du, Angst hatte die Kleine vor dir? Dieses große Menschlein?" Aus der Küchennische kam ihr eine winzige gedrungene Frau entgegen, einen guten Kopf kleiner als der Dengeluck. Senja fühlte sich sofort daheim bei diesen kleinen Wesen und bereute es sofort, heute mittag so rüde mit dem Dengeluck umgegangen zu sein. Seine Frau Hongela stellte einen großen Erdbeerkuchen auf den Tisch (der genauso aussah, wie sie ihn sich vorgestellt hatte) und wies sie an, Platz zu nehmen, was sich Senja nicht zweimal sagen ließ. Da sie Angst hatte, der kleine Hocker könnte unter ihrem Gewicht zu Bruch gehen, setzte sie sich lieber auf den Boden, wobei ihre Beine gerade so unter den Tisch passten. Beide - Senja und Dengeluck - berichteten von ihrem erstes Zusammentreffen in der Höhle, wobei der Dengeluck darauf bestand, Senja zu Tode erschreckt zu haben (mehr noch als der Krähenschwarm), was sie sofort vehement abstritt. Hongela blickte Senja mit einem ernsten Blick an. "Gefährliche Wesen sind hier draußen unterwegs. Dengelucks tun sie nichts, wir haben immer hier gelebt. Aber junge Menschlein sollten nicht alleine umherwandern, es gibt viel Gefahr auf dem Weg." Ihrem sorgenvollen Blick ausweichend, sagte Senja leise: "Ich muss diesen Weg nehmen, denn ich muss zu Landomar, hinter den Bergen...". Sie hielt inne, einen pochenden Schmerz im Hinterkopf. Sie hatte zum ersten Mal diesen Namen von dem Zettel laut gesprochen und sie hatte das Gefühl, in ihrem Kopf hatte es ein Knacken gegeben. Sie spürte einen Hauch von Erinnerung, zu schwach um irgendetwas festhalten zu können. Wer war Landomar wirklich? Und war es wirklich klug von ihr, ihn aufzusuchen? Senja presste ihre Hand auf die verkrustete Wunde an ihrem Kopf. "Ooooch, zu anstrengend war dieser dieser Tag für Senja", machte sich der Dengeluck wieder bemerkbar. "Sie soll sich ausruhen und morgen will ich sie zum Pass begleiten, damit keine Krähen sie zu Tode erschrecken", sprach's und kicherte leise vor sich hin. Bald fand sich Senja in ein warmes Fell gehüllt nahe dem Kamin wieder und mit noch immer pochendem Hinterkopf fiel sie in einen tiefen traumlosen Schlaf.