sábado, 5 de mayo de 2007

Kapitel 5

ui ho, aufstehen muss sie! Hihi, haha, ein Langschläfer ist diese Menschin, und so was will die Berge überqueren, und das alleine, und dabei ist sie doch so ängstlich, hihi. Buuuh, wenn sie nich aufsteht, kommen die Krähen, jaja, krächz krächz!“ Verwirrt und desorientiert fuhr die junge Frau hoch und starrte verständnislos auf die moosgrünen kleinen Hände, die mit erstaunlicher Kraft an ihrem Arm rüttelten. „Ahhh, ja, sie is ja doch aufgewacht, weil der Dengeluck von Krähen redet. Aber sie brauch den Dengeluck nich so komisch anschauen, ne ne. Vielleicht hat sie wieder Angst, das Senjalein, vor dem Dengeluck, hihihi. HA! BUUUH!“ Langsam wußte Senja wieder, wo sie sich befand. Vor ihrer Lagerstätte stand der Dengeluck und grinste von einer grünen Backe zur anderen, während seine schwarzen Augen blitzten. Irgendwoher hatte er sich wieder einen Kranz besorgt, diesmal aus miteinander verflochtenen Ästen, den er beim Ausruf „BUUUH“ in die Luft warf und sich dann wieder aufsetzte. Senja beschloss, seinen Spott zu ignorieren und begnügte sich mit einem „Ich wünsche dir einen guten Morgen, Dengeluck!“. „Hoho, guten Morgen sagt sie, dabei ist der Tag doch schon so gut wie rum, so lange hat sie geschlafen! Schlafen und Träumen von Bäumen, lalala…“, begann er zu singen und dabei im Kreis zu hüpfen.
Senja sprang auf – was, sie hatte den halben Tag verschlafen?! Dabei hatte sie doch eine wichtige Aufgabe, und wusste nicht, wie weit der Weg noch sein würde! Sie rannte vorbei an dem immer noch tanzenden und summenden Dengeluck, bis zum Eingang der Höhle. Die ersten zarten Sonnenstrahlen berührten den gar nicht mehr weit scheinenden Gipfel und ließen den Schnee rötlich aufschimmern. Erleichterung mischte sich mit dem Ärger, schon wieder auf den Dengeluck hereingefallen zu sein. Hinter sich hörte sie ihn voller Freude loskichern. „Hihihi, da hat er das Menschlein aber wieder erschreckt, der Dengeluck, fieser Dengeluck, hihi. Die Heldin hat kein Gespür für die Zeit, ne ne, hat sie nich, sie is halt ein Menschenkind, kein Bergbewohner, hoho… Muss sie lernen vom Dengeluck, und auch dass sie nich wieder Angst hat, ne ne, jaaa. Aber los müssen wir, jawohl, bald sogar, aber vorher muss Senja frühstücken, Hongela hat auch schon Kaffee gekocht. Aber dann geht der Dengeluck mit Senja und zeigt ihr den Weg, tut er, bevor die dunklen Wolken kommen und der Himmel anfängt zu trommeln!“ Senja musterte den klaren, blassblauen Himmel, an dem weit und breit keine Wolke zu sehen war und meinte ungläubig: „Was, ein Gewitter? Aber es ist doch ganz schönes Wetter, wo soll denn das herkommen!“ „Da siehst du’s, Hongela, hab ichs dir nich gesagt, hmm? Ja ja, die Kleine sieht nur das Jetzt, aber was am Abend kommt, das weiß sie nich, da is sie ganz ahnungslos und hilflos ohne den Dengeluck.“ – „Ich bin nicht dumm! Und hilflos bin ich erst recht nicht, ich…“ So langsam wurde Senja doch wütend auf den kleinen Wicht, dem offenbar nichts mehr Freude bereitete, als sich über sie lustig zu machen. „Klar is sie nich dumm, hab ich auch nich gesagt, nene. Aber die Berge kennt sie nich, die sagen nich jedem, was sie wollen. Aber der Dengeluck zeigt es dem Senjalein und passt auf, jaja, das macht er, sonst ist Hongela böse mit ihm.“ Und mit diesen Worten zog er Senja wieder in die Höhle an den Tisch, auf den Hongela – die Senja in ihrer Aufregung noch gar nicht wahrgenommen hatte - gerade drei dampfende Tassen, Milch, Brot und die Reste des Erdbeerkuchens stellte.
Viel Zeit nahmen sie sich nicht für das Frühstück, der Dengeluck drängte zum Aufbruch und auch Hongela schaute immer wieder sorgenvoll zum Eingang, als könne sie schon das Grollen des Donners in der Ferne hören. Zum Abschied schaute sie mit ihren großen schwarzen Augen ernst in Senjas und murmelte „Viel Glück, meine Kleine, auf deinem gefährlichen Weg!“ Der Dengeluck konnte so viel Schwermut offenbar nicht ertragen. Er tanzte zu seiner Frau, setzte ihr seinen Kranz auf den Kopf und rief: „Hihi, aber das gefährlichste Wesen auf diesem Weg ist ja der Dengeluck, hihi, der macht doch sogar mehr Angst als Krähentiere, hiii, hihi. Wenn der Dengeluck bei Senja ist, laufen alle anderen weg vor Furcht, BUUUH, BATZ, BENG! Haha, ja, hiii! Und der Dengeluck ist lieb zu Senja und passt auf und zeigt ihr, dass sie keine Angst nich haben muss vor dem Berg!“ Und schon war er über die Felskante verschwunden. Hastig bedankte sich Senja noch einmal bei Hongela und beeilte sich dann, ihm zu folgen.

Zügig schritten sie voran auf dem immer schmaler werdenden Felspfad, der Dengeluck immer ein paar Meter voraus, sich ab und zu umdrehend, ob Senja noch hinter ihm war. Ab und zu musste sie die Hände zum Klettern zu Hilfe nehmen, dann ging es wieder ein Stückchen leichter geradeaus. Immer höher kletterte auch die Sonne am wolkenlosen Himmel und ließ ihr den Schweiß in die Augen laufen. Sogar vereinzeltes Vogelgezwitscher war zu hören. So langsam zweifelte sie daran, dass an der Ankündigung des Dengeluck, es werde ein Gewitter geben, etwas Wahres war. Sie begann über diese seltsamen Wesen nachzugrübeln. Was machten sie hier in den Bergen? Gab es noch mehr von ihnen? Weshalb war der Dengeluck gestern so weit von seinem Zuhause entfernt in dieser Höhle gesessen, in die sie vor den Krähen geflohen war? Noch etwas anderes brachte Senja ins Grübeln. Am Tag zuvor war sie zu müde und hungrig gewesen, um sich darüber zu wundern. Aber jetzt kam es ihr mit jedem Schritt, den sie machte, seltsamer vor. Erdbeerkuchen! Nicht nur, dass diese Bergwesen einen Erdbeerkuchen wie bei ihr daheim (wo immer das auch war) machten – das war ja durchaus erklärbar. Aber Erdbeerkuchen in den Bergen? Wo es rundum nichts gab als geduckte Sträucher und hartes Gras? Und der Kaffee zum Frühstück! Wie um alles in der Welt kam Kaffee in die abgelegen, versteckte Höhle der Dengelucks, weit entfernt von allen Handelsrouten? Außerdem war da noch die Milch und die Eier für den Kuchen – vielleicht hielten sich diese Wesen Tiere, aber in der Nähe der Höhle hatte sie nichts gesehen und gehört. Das alles war schon sehr seltsam. Vielleicht verfügte der Dengeluck über geheime Kräfte…

Senja schauderte unwillkürlich und ihre Hand fuhr wie von selbst in ihre Tasche und schloss sich um das Tuch mit dem hölzernen Amulett. Ihr von der Anstrengung ohnehin schon schnell schlagendes Herz begann schmerzhaft in der Brust zu klopfen – aber diesmal nicht wegen dem Gedanken an Zauberkräfte. Diese Geste, die sie da eben gemacht hatte – das Amulett, das sie umklammerte – das war unbewußt geschehen. Gelenkt von dem hinter Schleiern verborgenen Teil ihres Gedächtnisses. Was hatte das zu bedeuten? Wovor sollte das Amulett sie schützen? Sie holte es hervor, um es genauer zu betrachten. Das Holz schimmerte in einem hellen rotbraun. Die filigrane Figur war nicht größer als ihr Daumen und zeigte die ineinander verschlungenen Köper eines Eichhörnchens und eines Drachens, die mit großer Sorgfalt sehr detailliert geschnitzt worden waren. Eichhörnchen und Drache… wofür stand das nur? Eichhörnchen und… „Hoia, heppla, was macht sie denn da, mitten auf dem Weg, ohne den Dengeluck? So geht sie noch verloren, das darf sie aber nicht, nee! Held will sie sein, aber dann steht sie hier, Dengeluck muss aufpassen! Schnell, weiter müssen wir, genau!“ Der Dengeluck klang ungewöhnlich ernst und etwas ungehalten. Senja war zum Betrachten des Amuletts stehengeblieben, ohne sich dessen bewusst zu sein. Nun schlug sie es hastig in das Tuch ein, steckte es wieder in die Tasche und eilte den steilen Pfad zm mit verschränkten Armen wartenden Dengeluck. „Tut mir leid ich… ich habe kurz verschnaufen müssen…“, murmelte sie, als sie ihn erreicht hatte. „Soso, ja ja, verschnaufen muss sie also, die Senja, und der Dengeluck rennt weg von ihr, hoho! Muss sie ihm sagen, wenn sie keine Kraft hat, die Menschin, die Heldin, die. Dann machen wir Pause, aber nicht hier, da können sie ja alle Krähentierchen sehen, und dann muss sie wieder rennen! Hihi, der Dengeluck hat kurze Beine, aber klettern kann er schneller als die Kleine, hehe!“ Vor sich hin murmelnd drehte er sich um und stieg weiter den Berg hinauf. Senja folgte ihm grübelnd. Ihr war, als rege sich mit dem Amulett ein weiterer Teil ihrer verschütteten Erinnerungen, doch so flüchtig und wenig greifbar wie der Morgendunst. Ihre Verwunderung über das Wesen der Dengelucks hatte sie vergessen. Stattdessen flogen ihre Gedanken den Füßen voraus, über das Gebirge, dorthin, wo Landomar sie erwartete. Hatte er vielleicht etwas mit dem Amulett zu tun? Oder hatte sie es von demjenigen bekommen, von dem auch die seltsame Nachricht stammte? So sehr sie sich auch anstrengte – anstatt des Gedächtnisses kamen nur Kopfschmerzen. Würde sie sich jemals wieder richtig erinnern können?

So tief war sie in ihre Gedanken versunken, dass sie beinahe in den Dengeluck gelaufen wäre, der unvermittelt stehengeblieben war. Sie waren inzwischen so hoch gekommen, dass vereinzelte Schneeflecken unter den Steinen hervorlukten. Die Büsche waren nunmehr zu einem knöchelhohen Gestrüpp geworden, durchbrochen von braunen Grasflächen. Das weiße Glitzern des schneebedeckten Gipfels war inzwischen in beinahe greifbare Nähe gerückt. Doch zwischen ihnen und dem Berg erstreckte sich eine steile Schlucht. Ein entferntes Rauschen verriet den Fluß, der in ihrer Tiefe brodelte. Vor ihnen teilte sich der Pfad, dem sie bisher gefolgt waren. Der eine Weg führte direkt auf den Abhang zu – und da sah sie es: Eine schmale, eine sehr schmale Brücke führte auf die andere Seite der Schlucht. Es schien, als habe der Schöpfer dieser Berge beim Graben der Schlucht auf einmal keine Lust mehr gehabt und in der Mitte ein Stückchen Fels stehenlassen. Diese natürliche Felsbrücke war nicht eben, sondern schien steile Steigungen zu besitzen. Der andere Weg führte in sicherem Abstand am Rand der Schlucht entlang durch das Gras, offenbar um die Schlucht herum.
Die Stimme des alten Mannes hallte in Senjas Kopf wieder: “Nimm nicht den Weg über die Felsbrücke, der lange Weg über das Gras ist sicherer.” Sie öffnete den Mund, um etwas Diesbezügliches zu sagen, doch der Dengeluck hatte schon einen Weg eingeschlagen – geradewegs auf die Schlucht mit der Brücke zu.
„He, Dengeluck, warte!“, rief sie, und hörte, wie sich eine Spur von Panik in ihre Stimme schlich. „Oi, oha, was hat es denn, das Menschenkind, das Senjalein? Gefällt ihr der Weg nicht, och, der Furchtlosen? Aber der Dengeluck ist doch bei ihr, der brave, der mutige, der tapfere!“ Der Dengeluck war stehengeblieben, aber wackelte ungeduldig hin und her. „Wir dürfen nicht die Brücke nehmen, die ist zu gefährlich! Wir müssen den längeren Weg außenherum nehmen!“ Ihre Stimme klang schrill in ihren Ohren, und gar nicht so überzeugend, wie sie beabsichtigt hatte. „Ja, da hat sie recht, das mit dem außenrum, das ist schon gut, das ist schon richtig, kluges Senjakind! Hihihi, aber der Dengeluck, der ist halt ein Bergmensch, johe, der kennt sich hier aus, jawoll. Der is hier schon oft gewesen und das is nich so schlimm, ne ne, ja, is es nich. Wir ham da gar nix zu befürchten, nene… Viel gefährlicher, außenrum, is es nämlich, denn der Himmel grollt bald, dann müssen wir drüben sein! Ja, da muss die Menschin dem Dengeluck glauben, hihi, vertrauen, kann man sagen, ho hoppla, hiii.“
Senja wollte einwerfen, dass das Wetter doch traumhaft sei und bestimmt kein Gewitter hereinbrechen würde – doch der Satz blieb ihr im Halse stecken. Wie aus dem Nichts türmten sich am Horizont bedrohlich schwarze Wolken auf. Noch schien über ihnen die Sonne im tiefblauen Himmel, doch die Gewitterwand schien schnell näherzuziehen. Wie eine Faust packte die Angst ihr Herz. Was, wenn sie hier in die Schlucht stürzen und Landomar ihre Nachricht niemals bekommen würde? Landomar! Sie musste zu ihm, und hier voller Angst zu stehen, brachte sie nicht weiter! Diese beiden Wege waren wie die Wahl zwischen Skylla und Charibdis – aber bisher hatte sie der Dengeluck gut geführt. Sie atmete einmal tief durch, dann folgte sie der kletternden kleinen Gestalt vor ihr.